Einführung
Gerechtigkeit, Gerichte und Geld
Ein Rechtsstreit verursacht nicht selten tiefe Wunden bei allen Beteiligten; auch dauert er zumeist relativ lang und verursacht in jedem Fall Kosten. Keine Frage, am besten ist es, ihn ganz zu vermeiden. Hierbei können Juristen helfen, wenn sie rechtzeitig herangezogen werden.
Nehmen wir aber mal an, Sie sind aus verschiedenen Gründen faktisch gezwungen, ein Gericht um Rechtsschutz zu ersuchen.1 Die Gründe dafür sind ebenso vielfältig wie einleuchtend: Einschneidende persönliche Rechtsverletzungen bis hin zum Existenz bedrohendem finanziellen Schaden können die Gründe sein – oder aber Ihnen geht es schlicht ums Prinzip. Vom Richter wird dann im sogenannten Erkenntnisverfahren festgestellt, ob das behauptete Recht in Wirklichkeit existiert.
Aber was bringen objektiv bestehende Rechte, wenn sie nicht freiwillig vom Gegner erfüllt werden? Sie müssen durchsetzbar sein, weil sie sonst wirtschaftlich geradezu wertlos wären. Damit beschäftigt sich das sogenannte Vollstreckungsverfahren. Die alles entscheidende Frage ist, ob Sie es sich leisten können, zu klagen? Natürlich sollte die Verfolgung Ihrer Rechte keine Frage des Geldes sein. Wie alles im Leben, hat aber nun mal auch das Recht seinen Preis. Oder anders gewendet: Die Rechtsdurchsetzung ist grundsätzlich mit Kosten verbunden.
Sinnhaftigkeit der klageweisen Rechtsdurchsetzung
Gerichtsprozesse und alternative Streitschlichtungsmethoden sind teurer denn je – die Tendenz steigend. Der Preis der Rechtsdurchsetzung kann in schwindelerregende Sphären aufsteigen. Die Kosten eines Rechtsstreits erscheinen dann unbezahlbar.
Das deutsche Zivilprozessrecht sieht zwar vor, dass die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits übernimmt.2 Die Realität ist aber diejenige, dass trotzdem Kosten auf den Schultern von Verbrauchern als auch kleineren und mittleren Unternehmen lasten. Kläger haben nämlich vor Klageerhebung Vorschüsse an den eigenen Anwalt zu entrichten und einen Gerichtskostenvorschuss einzuzahlen. Die Klagezustellung wird in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nur nach Einzahlung dieses Kostenvorschusses erfolgen.3 Und erst mit der Klagezustellung ist die Klage erhoben.4 Dadurch wird der Rechtsstreit rechtshängig.5 Die Rechtshängigkeit hat eine Vielzahl von materiell-rechtlichen und prozessualen Wirkungen. Anders ist dies vor den Verwaltungs- und Sozialgerichten; hier tritt die Rechtshängigkeit bereits mit Klageeinreichung ein.6
Bevor eine selbst nicht rechtskundige Partei vor Gericht irgendeinen Antrag verfolgt, wird sie häufig Rechtsrat einholen müssen, weil sie sonst etwas verlangen könnte, das ihr nach materiellem Recht gar nicht zusteht. Aber auch wenn es nicht bis zu einer Klage kommt, droht der Verlust eines Prozesses, denn der Gegner des behaupteten Anspruchs kann auf Feststellung klagen, dem Beklagten stehe der von diesem behauptete Anspruch nicht zu (sogenannte negative Feststellungsklage).7
Wird Rechtsrat eingeholt, stellt sich regelmäßig für den Rechtsberater die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Klage. Ob es sinnvoll ist, einen Prozess anzustrengen, der eine erhebliche Zeit-, Kosten- und Nervenbelastung darstellen kann, hängt von vielfältigen rechtlichen und wirtschaftlichen Überlegungen ab. Die rechtlichen Überlegungen gehen dahin, ob überhaupt hinreichende Aussicht besteht, die Klage zu gewinnen. In wirtschaftlicher Hinsicht ist zum einen die Erfolgsaussicht mit dem Kostenrisiko abzuwägen.
Weiterhin ist die vorgenannte Vollstreckungsaussicht zu bedenken. Hat der Schuldner kein Vermögen, in das vollstreckt werden kann, ist ein obsiegendes Urteil nahezu wertlos. Die Prozesskosten an das Gericht und den Anwalt sind für den Kläger dann auch bei einem gewonnenen Prozess verloren. Der Kläger hat trotz des gewonnen Prozesses aufgrund der Vermögenslosigkeit des Beklagten letztlich nur wirtschaftliche Nachteile.
Für die vor einem Prozess anzustellenden wirtschaftlichen und vor allem rechtlichen Überlegungen fehlen dem Bürger meist die notwendigen juristischen Kenntnisse. Häufig wird er daher vor Klageerhebung einen Anwalt einschalten müssen, um eine Beratung über das Prozess- und Kostenrisiko zu erhalten. Sofern das Landgericht in 1. Instanz zuständig ist, muss ohnehin ein Anwalt mit der Prozessdurchführung beauftragt werden, weil vor den Landgerichten, Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof ein Anwaltszwang besteht.8 Anders hingegen, wenn das Amtsgericht in der 1. Instanz zuständig ist. Die Parteien müssen sich dann nicht zwingend durch einen Anwalt vertreten lassen.9
Das Recht und sein Preis
Die Kostenrisiko ist bei Einschaltung eines Anwalts naturgemäß besonders hoch. Die Anwaltsvergütung richtet sich grundsätzlich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und ist in der Regel streitwertabhängig. Ein Prozess, der alle Instanzen durchläuft, kann Kosten verursachen, die bis zu 80 Prozent des Streitwerts betragen. Das Kostenrisiko kann sogar soweit gehen, dass Betroffene von der Verfolgung ihrer Rechte gänzlich absehen.10 Weitere Risiken liegen in dem (teilweisen) Unterliegen im Prozess und der abweichenden Kostenentscheidung des Gerichts sowie in der Insolvenz des Beklagten.
Sogar wenn sich keines dieser Risiken realisiert, bleibt der Prozess für den Kläger nur kostenneutral, wenn mit dem eigenen Anwalt die vorgenannte gesetzliche Vergütung nach dem RVG vereinbart wurde und keine Opportunitätskosten im Hinblick auf die Dauer des für die Rechtsdurchsetzung gebundenen Kapitals entstanden sind. Typisch ist aber eine höhere erfolgsunabhängige Honorarvereinbarung – auch von Stundensätzen.11 Beispielsweise wird ein hochspezialisierter Anwalt im Aktien- und Kapitalmarktrecht wohl kaum für die gesetzliche Vergütung tätig werden. Eine geringere als die gesetzliche Vergütung für eine Prozessvertretung ist grundsätzlich sowieso nicht erlaubt.12
Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten
Minderbemittelte Rechtsuchende können für eine außergerichtliche Rechtsberatung oder für die Führung eines Prozesses, unter engen Voraussetzungen eine Beratungshilfe und eine Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen. In vielen Fällen wird die staatliche Prozesskostenhilfe nicht in Betracht kommen. Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars mit dem Anwalt weiterhin grundsätzlich in Deutschland nicht zulässig. In Anbetracht enger Grenzen kann dies aber ausnahmsweise zulässig sein.13 Das Kostenrisiko der Rechtsdurchsetzung kann auch durch den Abschluss einer Rechtsschutzversicherung beseitigt oder minimiert werden. Die eleganteste Lösung von alledem bietet aber nach wie vor das Finanzinstrument der Prozessfinanzierung.
Was ist (gewerbliche) Prozessfinanzierung?
Anspruchsinhaber haben bei einer Prozessfinanzierung die Möglichkeit, ihr gesamtes Kostenrisiko und ihre Vorschusslast – auch im Falle eines Prozessverlustes – gegen quotenmäßige Beteiligung bei Prozessgewinn auf ein spezialisiertes Finanzierungsunternehmen (Prozessfinanzierer) auszulagern. Der Prozessfinanzierer agiert in diesem Fall als Risikokapitalgeber.
Bei der klassischen Prozessfinanzierung von Gerichtsprozessen (Litigation Funding) und von Schiedsverfahren (Arbitration Funding) stellt ein Prozessfinanzierer einem Kläger (Risiko-)Kapital zur Verfügung, um die laufenden Kosten eines Gerichts- bzw. Schiedsverfahrens zu tragen. Anders als beim Darlehen muss der Kläger das erhaltene Kapital nicht zurückzahlen (Non-Recourse-Finanzierung). Der Prozessfinanzierer bleibt durchgehend ein am Verfahren unbeteiligter Dritter (Third-Party-Funder) und wird sich nur Informations- und Abstimmungsrechte gegenüber dem Kläger sichern. Insbesondere leistet der Prozessfinanzierer selbst keine Rechtsberatung; dies obliegt einzig und allein dem prozessführenden Anwalt. Nichtsdestotrotz wird für interne Zwecke eine rechtliche und wirtschaftliche Due Diligence durchgeführt.
Daneben haben sich in den letzten Jahren Geschäftsmodelle am Markt etabliert, die unter Inkasso-Prozessfinanzierung durch Legal-Tech bekannt sind. Hierbei wird die Forderungsdurchsetzung gebündelt. Aufgrund der durch die Bündelung erzielbaren Skaleneffekte wird Rentabilität bei der Forderungsdurchsetzung von wesentlich kleineren Fällen erreicht. Die in Betracht kommenden Fälle sind in der Regel gleichgelagert, sodass deren Tatbestandvoraussetzungen zu einem gewissen Grad automatisiert durch Software-Lösungen abgefragt werden können. Das ermöglicht es, eine zeit- und kostentechnisch günstige Vorprüfung der Fälle durchzuführen.
Prozessfinanzierung kann aber auch als Finanzinstrument für Unternehmen jeder Größenordnung dienen (Legal Finance). Kapitalstarke Unternehmen aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten haben die Möglichkeit längst für sich entdeckt, sich frisches Betriebskapital zu beschaffen, um dieses sodann für operative Geschäftszwecke einzusetzen. Der Vorteil ist bilanzieller Natur, denn es müssen keine Rückstellungen für potentielle Rechtsstreitigkeiten gebildet werden. Diese Art der unternehmerischen Nutzung ist dem Bereich Corporate Finance anzusiedeln und steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen.
Wofür eignet sich Prozessfinanzierung?
Grundsätzlich kommen sämtliche Rechtsgebiete in Betracht, wenngleich der Fokus regelmäßig auf die Bereiche des Privat- und Wirtschaftsrechts entfällt.
Prozessfinanzierung kann sowohl bei Gerichtsprozessen und Schiedsverfahren wie auch bei Mediationsverfahren und außergerichtlichen Verfahrensbegleitungen Anwendung finden.
Der Markt für Prozessfinanzierung: Big Business oder Nischendasein?
Das Marktvolumen für Prozessfinanzierung in Deutschland wird bereits heutzutage auf bemerkenswerte 500 Mio. Euro geschätzt. Schätzungsweise war der globale Markt für Prozessfinanzierung im Jahr 2024 rund 17,5 Mrd. USD schwer.14 Darüber hinaus wird dem weltweiten Markt für Investitionen in Prozessfinanzierung eine goldige Zukunft vorausgesagt, denn von 2025 bis 2037 soll dieser eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 11,1% aufweisen und bis Ende 2037 sogar ein Volumen von 72,2 Mrd. USD erreichen.
Der Markt wird sicherlich noch deutlich wachsen und ist mittlerweile weltweit betrachtet alles andere als eine Randerscheinung.
Welche Prozessfinanzierungsarten gibt es?
Grundsätzlich kann man die Prozessfinanzierungsarten in drei Konstellationen einteilen:
Zum einen gibt es die Finanzierung von einzelnen Fällen für Privatpersonen und Unternehmen (single-case financing). Hierbei erklärt sich ein Prozessfinanzierer bereit, die gesamten oder zumindest einen Teil der Anwalts- und Gerichtskosten- und sonstigen Kosten des in der Regel klagenden Anspruchsinhabers, die für die Rechtsverfolgung eines bestimmten Anspruchs anfallen werden, zu übernehmen. Grundsätzlich werden vonseiten der Prozessfinanzierer entsprechend hohe Mindeststreitwerte vorgegeben. Ausnahmen finden sich aber vor allem bei Legal-Tech-Anbietern, die gleichgelagerte Fälle mit relativ niedrigen Streitwerten bündeln und dann geltend machen.
Darüber hinaus werden auch ganze Fallportfolien finanziert. Die Portfoliofinanzierung (portfolio financing) ermöglicht Unternehmen den Zugang zu Risikokapital für die Finanzierung eines Bündels von Fällen. Die Portfoliofinanzierung richtet sich an Unternehmen, die die Prozessfinanzierung als Finanzinstrument nutzen. Unternehmen haben den Vorteil, dass aussichtsreiche Aktivprozesse – also diejenigen Verfahren, bei denen das Unternehmen die klagende Partei ist – sogar zur Finanzierung von Passivprozessen – Fälle, wo man Beklagter ist – genutzt werden können (Defence Finance). Bewertet wird das Kollektiv der Fälle und die zu erwartende Rendite für den Prozessfinanzierer aus mehreren Fällen. Die Risikodiversifikation einzelner Fälle erhöht die Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittliche Renditen einzufahren, da nicht jeder Fall gewonnen werden muss. Der Risikodiversifikation sind beim Aufbau eines Fallportfolios insofern keine Grenzen gesetzt, weil über verschiedene Industriesparten, Rechtsgebiete, Gerichte, Volumina und Länder hinweg diversifiziert werden kann.
Bei der Finanzierung von Beklagten (defence-side financing) wird ebenfalls Kapital für die Anwalts-, Gerichts- und sonstigen Kosten zur Verfügung gestellt. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass hierbei die Verteidigung gegen eine Klage im Vordergrund steht und gegebenenfalls zudem eine Widerklage gegen den Kläger eingebracht wird. Die Schwierigkeit liegt für den Prozessfinanzierer darin, zu bestimmen, was in diesem Fall letztlich den Erfolg darstellt und wie sich die Erlösbeteiligung bestimmt. Gerade für kapitalschwache Startups in den Anfänge der unternehmerischen Tätigkeit könnte defence-side financing interessant sein.
- Sogenannter Justizgewährungsanspruch: Damit ist ein grundgesetzlich verankerter Anspruch des Staatsbürgers gegen den Staat gemeint, dass die zuständigen staatlichen Organe, insbesondere die Gerichte, ihm Rechtsschutz gewähren. Das Bundesverfassungsgericht leitet den Justizgewährungsanspruch aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Verfahrensgrundrechten der Art. 101 und 103 GG ab, vgl. BVerfG NJW 2003, 1924 (1926). ↩︎
- § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. ↩︎
- § 12 Abs. 1 S. 1 GKG. ↩︎
- § 253 Abs. 1 ZPO. ↩︎
- § 261 Abs. 1 ZPO. ↩︎
- §§ 81, 90 VwGO, 90, 94 SozGG. ↩︎
- Vgl. § 256 Abs. 1 ZPO. ↩︎
- Die Parteien müssen sich durch einen bevollmächtigten Anwalt vertreten lassen, weil nur diese postulationsfähig sind. Das heißt, dass nur sie fähig sind, prozessual wirksam zu handeln, vgl. § 78 ZPO. ↩︎
- In diesem Fall sind die Parteien selbst postulationsfähig – sog. Parteiprozess (§ 79 ZPO). ↩︎
- Siehe auch BVerfG Beschl. v. 12.12.2006 – 1 BvR 2576/04 = NJW 2007, 979 (984). ↩︎
- Nach Maßgabe der §§ 3a, 4 RVG grundsätzlich erlaubt. ↩︎
- § 49b Abs. 1 BRAO, § 4 Abs. 1 RVG. ↩︎
- § 49b Abs. 2 BRAO, § 4a RVG. ↩︎
- ↩︎
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