Prozessfinanzierung aus Rache?
Üblicherweise liegt die Motivation der gewerblichen Prozessfinanzierung darin, an dem Prozesserlös anteilig zu partizipieren, also einen Gewinn zu erwirtschaften. Das leuchtet ein, denn schließlich basiert das Geschäftsmodell darauf. Darüber hinaus wird man auch nicht müde, als Motivation anzuführen, dass der Zugang zum Recht ermöglicht wird, dessen Tür andernfalls wegen etwaigen prekären finanziellen Verhältnissen des Anspruchsinhabers verschlossen geblieben wäre, obwohl dieser einen an für sich berechtigten und werthaltigen Anspruch vorzuweisen hat.
Da wäre aber auch noch ein dritter, sehr unrühmlicher Antrieb, der vor allem in dem US-amerikanischem Fall Bollea v. Gawker Media zum Ausdruck kommt – nämlich die Prozessfinanzierung um der Rache willen (sogenanntes Revenge Litigation Funding). Hierbei hat eine unbeteiligte Partei ein persönliches Interesse daran, einem Beklagten Schaden zuzufügen, indem sie einen Kläger finanziert, der eine berechtigte Forderung gegen ebendiesen Beklagten hat.
Der Fall Bollea v. Gawker Media, LLC
Embed from Getty ImagesSt. Petersburg, Florida – März 2016: Hulk Hogan sagt in seinem Fall gegen die Website Gawker.com aus
Im Dezember 2012 verklagte Terry Gene Bollea – einem breiteren Publikum vor allem bekannt als Wrestler Hulk Hogan – den Medienkonzern Gawker Media wegen Verletzung der Privatsphäre, Verletzung des in Florida geltenden Rechts auf Öffentlichkeit (common law right of publicity) und emotionaler Belastung nach der Veröffentlichung eines Sexvideos.1 Nach dem Recht des US-Bundesstaates Florida ermöglicht das common law right of publicity einer Person, die Verwendung ihrer Identität für kommerzielle Zwecke ohne ihre Zustimmung zu verhindern. „Identität” kann den Namen, die Stimme, das Bild oder dergleichen umfassen.
Gegenstand des Verfahrens vor dem Bezirksgericht von Pinellas County war ein Mitte der 2000er Jahre aufgenommenes Schwarz-Weiß-Video, das Bollea beim einvernehmlichen Sex mit der damaligen Frau seines Freundes Todd Clem – Heather Clem – zeigte. Todd Clem änderte seinen bürgerlichen Namen später verrückterweise legal in „Bubba the Love Sponge Clem“. Außerdem zeichnete er die „Begegnung“ zwischen Bollea und Heather Clem heimlich auf. Anschließend landete das Video über Umwege bei Gawker, die einen Auszug davon in einem Beitrag von 2012 veröffentlichten.
Im März 2016 wurde Bollea von der Jury Schadensersatz in Höhe von 115 Millionen US-Dollar zugesprochen – eine für deutsche Verhältnisse enorme Summe, die die von ihm anfänglich geforderten 100 Millionen US-Dollar sogar noch übersteigt. Dagegen kann der Richter im deutschen Recht nichts zu- oder absprechen, was nicht beantragt war.2 Zudem wurden ihm weitere 25 Millionen US-Dollar Strafschadensersatz (sogenannte punitive damages) – eine dem deutschen Recht unbekannte Kompensationsform – zugesprochen.3 Erwähnenswert ist, dass in US-amerikanischen Zivilverfahren ein Recht auf Entscheidung durch eine Jury besteht. Zwar hat die Jury sich hier ganze sechs Stunden lang beraten. Nichtsdestotrotz ist eine Jury natürlich beeinflussbarer als ein Berufsrichter und neigt dazu, höhere Schadenssummen zuzusprechen.
Embed from Getty ImagesSt. Petersburg, Florida – März 2016: Nick Denton, Gründer von Gawker, spricht mit seinem Anwaltsteam
Nick Denton, Gründer von Gawker, wirkte zunächst siegessicher und erklärte einst in einer eigenen Stellungnahme, dass die Jury nicht alle Fakten gehört habe. „Wir sehen die Berufung, die wir bereits vorbereitet haben, sehr positiv, da wir davon ausgehen, dass wir diesen Fall letztendlich gewinnen werden“, sagte er.
Nun ja, die Entscheidung und die finanziellen Folgen des Rechtsstreits führten letztlich dazu, dass Gawker Media im August 2016 Gläubigerschutz nach Chapter 11 des US-Insolvenzrechts vor dem Gericht für den südlichen Bezirk von New York beantragte, damit ihre Vermögenswerte geschützt werden.4
Hohe Schadenersatzsummen in Fällen wie diesen werden in der folgenden Instanz oft aufgehoben oder erheblich reduziert. Obwohl Gawker tatsächlich Berufung gegen das Urteil einlegte, lehnte der zuständige Richter die Aussetzung des erstinstanzlichen Urteils aber ab, weil dies von Gawker die Hinterlegung einer Sicherheit von stolzen 50 Millionen US-Dollar erfordert hätte, was wiederum direkt zu deren Zahlungsunfähigkeit geführt hätte.
Finanzspritze des Tech-Milliardärs Peter Thiel
Am 25. Mai 2016 veröffentlichte die New York Times ein Interview mit dem Tech-Milliardär Peter Thiel, welcher unter anderem Mitbegründer von PayPal und einer der ersten Investoren bei Facebook – jetzt Meta Platforms, Inc. – war. Thiel gab zu, etwa 10 Millionen US-Dollar an Prozesskosten für die Finanzierung von Klagen gegen Gawker Media (einschließlich der Klage von Bollea) gezahlt zu haben.5 Das nötige Kleingeld hatte er laut Forbes jedenfalls damals schon in der Tasche.6
„Es geht weniger um Rache als um konkrete Abschreckung“, sagte Thiel in seinem ersten Interview nach Bekanntwerden seiner Identität. Thiels Grund für die Prozessfinanzierung von Bollea und anderen Klägern lässt sich hauptsächlich auf einen aus dem Jahr 2007 von Gawker Media veröffentlichten Artikel mit dem Titel „Leute, Peter Thiel ist total schwul.“7 zurückführen.
Thiel erläuterte seine Beweggründe wie folgt:
„Ich sah wie Gawker eine einzigartige und unglaublich schädliche Methode entwickelt hat, um Aufmerksamkeit zu erregen, indem sie sogar diejenigen Menschen schikanieren, die keinerlei Verbindung zum öffentlichen Interesse haben.
Ich kann mich verteidigen. Die meisten Menschen, die von ihnen angegriffen werden, gehören nicht zu meiner Kategorie. Sie greifen für gewöhnlich weniger prominente, weit weniger wohlhabende Menschen an, die sich einfach nicht selbst verteidigen können … sogar jemand wie Terry Bollea, der Millionär, berühmt und erfolgreich ist, hatte nicht die Mittel, sich alleine zur Wehr zu setzen.
[Es ist] eine meiner größten philanthropischen Taten, die ich je vollbracht habe. In diesem Kontext sehe ich das.“8
Gerichtsbarkeit als Waffe
Der Fall Bollea v. Gawker Media zeigt eindrucksvoll, dass die Gerichtsbarkeit als Waffe eingesetzt werden kann, um Fehden beizulegen, indem einer Partei finanzieller oder irreparabler Schaden zugefügt wird. Einerseits verursacht natürlich die reine Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten an sich noch keinen Schaden. Dazu müsste erstmal ein Gericht einem Kläger Recht zusprechen und die entsprechenden Schadenersatzansprüche zubilligen. Darüber hinaus müsste die Entscheidung noch in jeder Instanz aufrechterhalten werden.9
Logischerweise sehen manche die Prozessfinanzierung aus Rache im US-amerikanischen Rechtsraum nur dann als wirksam an, wenn die zugrunde liegende Klage hinreichend erfolgsversprechend ist. Andernfalls würde die Klage wegen rechtsmissbräuchlicher Erhebung abgewiesen und dem Kläger und dessen Beratern möglicherweise Sanktionen auferlegt werden.
Klar ist auch, dass Prozessfinanzierung aus dem Motiv der Rache heraus nicht auf einen bestimmten, einzelnen Prozess beschränkt ist, weil ein solcher Prozessfinanzierer auch die an die chinesische Hinrichtungsmethode von Lingchi angelehnte Strategie des „Todes durch tausend Schnitte“ verfolgen kann; will heißen, dass grundsätzlich jede Klage finanziell unterstützt wird, die dem Beklagten letztlich Schaden zufügt – unabhängig davon, worauf die Klage eigentlich abzielt.10
Getreu dem Motto, wie öfter, desto besser. Denn der Wunsch des Finanzierers, den Gegner mit tausend kleinen Schnitten den Tod zu bringen, würde unweigerlich zur Einleitung zahlreicher Klagen gegen die Betroffenen führen, praktisch unabhängig vom wahrscheinlichen Prozessausgang, solange der Gegner finanzielle Strapazen ertragen muss.
Embed from Getty ImagesTampa, Florida – 15. Oktober 2012: Pressekonferenz mit Hulk Hogan und seinen Anwälten
Das Vorgehen des Silicon-Valley-Investors Peter Thiel war mit Letzterem vergleichbar; zwar ist Thiels Unterstützung für einen ganz bestimmten Fall unbestätigt, allerdings hatte er die Hollywood-Kanzlei Harder Mirell & Abrams LLP damit beauftragt, im Namen von Hulk Hogan, Klage gegen Gawker zu erheben – seit 2013 hat diese Gawker immerhin mindestens fünf Mal verklagt. Außerdem hat Thiel zugegeben, dass Bollea nicht der einzige Begünstigte seiner finanziellen Großzügigkeit gewesen sei.11
Anders als in Deutschland, wo die unterlegene Partei nach der Zivilprozessordnung die Kosten des Rechtsstreits tragen muss, gilt in den Vereinigten Staaten die American rule, wonach jede Partei ihre Anwaltskosten grundsätzlich selber trägt.12 In einem solchen Fall kann die Strategie des „Todes durch tausend Schnitte“ den Beklagten durchaus ausbluten lassen und in den finanziellen Ruin treiben.
Aber unabhängig von der Kostentragungsregelung, würde das Risiko des finanziellen Ruins auch für ein deutsches Unternehmen bestehen bleiben, da
- die Kosten erst nach Abschluss des Verfahrens (sofern es nicht zum Vergleich oder einer Klagerücknahme kommt) erstattet werden und währenddessen grundsätzlich zu einer Zahlungsunfähigkeit führen können sowie
- die Kosten nie vollständig erstattet werden, sodass kumulierte Ausfälle bei der Kostenerstattung erhebliche Auswirkungen auf die Finanzlage eines Beklagten haben können.
Prozessfinanzierung um der Rache willen dürfte vor allen Dingen dann auf Widerstand in den USA stoßen, wenn ein Prozessfinanzierer einen Rechtsstreit anstachelt oder die Prozesstaktik und -strategie vorgibt, kontrolliert und damit bereits wahrscheinlich gegen die englischen Grundsätze der Champerty und Maintenance verstößt.13
In der Praxis dürfte dieses Argument vor allem dann zum Tragen kommen, wenn der Prozessfinanzierer die Initiative ergriffen hat und den Kontakt zum Anspruchsinhaber oder seinem prozessbevollmächtigten Anwalt hergestellt hat – im Gegensatz zu der eher typischen Situation bei einer Prozessfinanzierung, bei der der Prozessbevollmächtigte des Anspruchsinhabers beim Prozessfinanzierer eine Finanzierungsanfrage stellt.
Ausblick
Zweifelsohne ist die Prozessfinanzierung aus dem Motiv der Rache eine im Verborgenen praktizierte Seltenheit. Einerseits stellt es ein Mittel für rachsüchtige Persönlichkeiten oder Unternehmen dar. Sie kann aber auch andererseits strategisch von räuberischen Unternehmen dazu verwendet werden, um ein potentielles Übernahmeziel zu schwächen, insbesondere wenn Kapital und Reputation nicht von Relevanz zu sein scheinen. Ehrlicherweise wird das aber nur selten der Fall sein.
Theoretisch könnte ein Unternehmen, das über wertvolle immaterielle Vermögenswerte (wie z.B. geistiges Eigentum) verfügt, Ziel dieser Art von räuberischer Prozessfinanzierung werden. Die Finanzierung könnte dazu verwendet werden, Kunden und Umsatz von einer Partei abzuziehen und so deren Marktanteil und die Aussichten anderer Marktteilnehmer zu beeinflussen. Eine solche Finanzierung, die zwar nicht aus Rache erfolgt, weist aber viele ähnliche Merkmale wie die Prozessfinanzierung aus Rache auf.
Folglich findet Prozessfinanzierung in der Praxis nicht nur aus noblen Motiven Anwendung. Vorstellbar ist, dass die Prozessfinanzierung um der Rache willen in Zukunft auch von anderen recht wohlhabenden Individuen mit genügend freiem Cash-Flow als Finanzinstrument eingesetzt werden könnte, um einen unliebsamen Gegner anzugreifen und ihm das Leben zu erschweren.
Diese Form der Finanzierung, sofern sie dahingehend unreguliert bleibt, wird sicherlich zu weiteren Schlagzeilen und einer Neujustierung der Finanzierungsregeln und -vorschriften führen. Eine US-amerikanische Professorin der Boston University Law School hat bereits ihren Unmut dahingehend kundgetan und die Regulierung der Prozessfinanzierung vorgeschlagen, die die Art des Prozessfinanzierers und dessen Beweggründe berücksichtigt, um zu verhindern, dass Gerichte zum Schauplatz von Rachsüchtigen werden.14
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- Siehe Bollea v Gawker Media, LLC 913 F. Supp. 2d 1325, 1327 (M.D. Fla. 2012). ↩︎
- § 308 Abs. 1 ZPO. ↩︎
- Siehe Madigan/Somaiya, Hulk Hogan Awarded $115 Million in Privacy Suit Against Gawker, New York Times, März 2016. Online verfügbar unter: https://www.nytimes.com/2016/03/19/business/media/gawker-hulk-hogan-verdict.html; siehe auch Madigan, Jury Tacks On $25 Million to Gawker’s Bill in Hulk Hogan Case, New York Times, August 2016, online verfügbar unter: https://www.nytimes.com/2016/03/22/business/media/hulk-hogan-damages-25-million-gawker-case.html. ↩︎
- Siehe Tennant, Gawker files for Chapter 11 bankruptcy Financier Worldwide, August 2016, online abrufbar unter: https://www.financierworldwide.com/gawker-files-for-chapter-11-bankruptcy#.XpXPzP1Kipo. ↩︎
- Siehe Sorkin, Peter Thiel, Tech Billionaire, Reveals Secret War With Gawker, New York Times, Mai 2016, online abrufbar unter: https://www.nytimes.com/2016/05/26/business/dealbook/peter-thiel-tech-billionaire-reveals-secret-war-with-gawker.html. ↩︎
- Vgl. https://www.forbes.com/profile/peter-thiel/. ↩︎
- Siehe Peter Thiel Is Totally Gay, People, Gawker, Dezember 2007, online abrufbar unter: https://www.gawkerarchives.com/335894/peter-thiel-is-totally-gay-people; siehe auch Denton, An Open Letter to Peter Thiel, Gawker, Mai 2016, online abrufbar unter: https://www.gawkerarchives.com/an-open-letter-to-peter-thiel-1778991227. ↩︎
- Siehe Sorkin, Peter Thiel, Tech Billionaire, Reveals Secret War With Gawker, New York Times, Mai 2016, online abrufbar unter: https://www.nytimes.com/2016/05/26/business/dealbook/peter-thieltech-billionaire-reveals-secret-war-with-gawker.html. ↩︎
- Siehe Kontorovich, Peter Thiel’s Funding of Hulk Hogan Gawker Litigation Should Not Raise Concerns Washington Post, Mai 2016, online abrufbar unter: https://www.washingtonpost.com/news/volokh-conspiracy/wp/2016/05/26/peter-thiels-funding-of-hulk-hogan-gawker-litigation-should-not-raise-concerns/. ↩︎
- Levi, The Weaponized Lawsuit Against the Media: Litigation Funding as a New Threat to
Journalism (2017) 66 Am. U. L Rev. 761, 785 f., online abrufbar unter: „The Weaponized Lawsuit Against the Media: Litigation Funding as a New “ by Lili Levi. ↩︎ - Mac/Drange, Hulk Hogan’s Lawyers Have Made Suing Gawker Their ‘Bread and Butter’’
Forbes, Mai 2016. Online verfügbar unter: https://www.forbes.com/sites/mattdrange/2016/05/30/peter-thiel-hulk-hogan-lawyers-charles-harder/. ↩︎ - Schack, US-ZivilProzR Rn. 22 f. mwN. ↩︎
- Siehe Charge Injection Techs., Inc v E.I. Dupont De Nemours & Co, C.A. No 07C-12-134-JRJ,
(Del. Super. Ct. Mar. 31, 2015). ↩︎ - Siehe die schriftliche Stellungnahme von Professor Maya Steinitz vom 13. September 2023 vor dem
Committee on Oversight and Accountability United State House of Representative, online abrufbar unter: https://oversight.house.gov/wp-content/uploads/2023/09/MSteinitz_Testimony-Before-the-
House-of-Representatives-Sept.-11-2023.pdf. ↩︎
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